· 

Berlin-Schöneberg: Noch keine David-Bowie-Straße im Regenbogenkiez

Fünf Jahre lang muss man nach geltenden Vorschriften warten, bis man in Berlin den Antrag stellen kann, einer verstorbenen Person den Namen einer Straße zu widmen. Im Fall von David Bowie kam die Initiative dazu sofort auf. Der als D. Robert Jones geborene britische Künstler lebte von 1976 bis 1978 in Berlin. In den Hansa-Studios am Potsdamer Platz nahm er mit der Berlin-Trilogie “Low”, “Heroes” und “Lodger” drei seiner bedeutendsten Alben auf und schrieb damit Popgeschichte. Gewohnt hatte der Popstar zeitweilig zusammen mit Iggy Pop in einer 7-Zimmer-Wohnung in der Hauptstraße 155 in Berlin-Schöneberg. Gleich nach dem Tod Bowies am 10. Januar 2016 sammelten Fans 13.000 Unterschriften für die Umbenennung der Straße (Lücke, 2021). Eine Gedenktafel an der eher unscheinbaren Fassade hängt bereits. Bürgermeister Michael Müller (SPD) kam persönlich zur Einweihung (B.Z., 2016). Dass es eine David-Bowie-Straße geben wird, hält Paul Spies, Direktor des Stadtmuseums, für ausgemachte Sache, wobei aber der Platz an der Straßenkreuzung am Kleistpark die besten Chancen auf den Namen “David-Bowie-Platz” hätte (Slaski, 2021b).

Der "Thin white Duke" zieht 1976 in die Hauptstraße 155 ein

Als David Bowie 1976 in die Hauptstrasse 155 zieht, hat er mehrere Alben, Live-Tourneen und eine Filmproduktion hinter sich. Sein internationaler Durchbruch erforderte ein kräftezehrendes Arbeitspensum. Zudem hatte er sich mit seinem Management zerstritten und Finanzprobleme. Der “thin-white-duke” wiegt kaum 50 kg und ernährt sich der Legende nach hauptsächlich von Milch und Kokain. Bowie hat ein erhebliches Drogenproblem. In Schöneberg in der damaligen Inselstadt West-Berlin lebt er nun in einem eher unscheinbaren Altbau. Im Vorderhaus verkaufen die Besitzer Autoersatzteile. Im Gartenhaus wohnen türkische Einwandererfamilien. Eine andere Legende sagt: Sein Mitbewohner Iggy Pop muss bald in eine Wohnung im Hinterhaus ziehen, weil dieser zu oft die im KdW gekauften Lebensmittel aus dem Kühlschrank klaut (Rink, 2017).

Helden für einen Tag: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

Was Bowie in der Inselstadt Berlin gesucht haben mag, gab es nicht mehr: Das verruchte Berlin der legendären 20’er Jahre. Doch im Schatten der Mauer entsteht in den 70’er Jahren eine ganz eigene Boheme und ein inspirierendes Umfeld avantgardistischer Kunst und Musik. Bowie kommt in Berlin zu sich selbst und findet seine Helden für einen Tag. Mit “Heroes” und dem gleichnamigen Album widmet er der Stadt eine Hymne (Schaper, 2020). Doch nicht nur die Avantgarde prägt in den 70’ern Berlin, sondern auch soziale Probleme. In einer anonymen Trabantenstadt am südlichen Rand West-Berlins wächst Christiane F. auf. Ausgerechnet auf einem Bowie-Konzert macht die damals 13jährige 1976 ihre erste Erfahrung mit Heroin. Aus einer Interview- und Reportage-Reihe des Magazins “stern” entsteht wenig später das Buch “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”, in dem die junge Christiane F. ihren Weg in die Abhängigkeit und Beschaffungsprostitution schildert. David Bowie schreibt quasi den Soundtrack zum Berlin der späten 70’er Jahre und zu dieser Geschichte. Für die Verfilmung der “Kinder vom Bahnhof Zoo” liefert er später tatsächlich die Musik und tritt selbst auf. Szenen des 1976’er Konzerts werden mit Bowie nachgedreht. (Heidböhmer, 2021)

Auf den Spuren des Stars: Bowie macht Queerness Mainstreamfähig

Stadtführungen auf den Spuren des Stars an. Manch eine Tour führt über die legendären Hansa-Studios am Potsdamer Platz zur Reichstagswiese, wo Bowie 1987 noch einmal ein legendäres Open-Air-Konzert gab und endet dann an seiner ehemaligen Wohnadresse in der Hauptstraße 155. Nebenan, in der Hausnummer 157 kehrte Bowie oft im Café “Anderes Ufer”, heute “Neues Ufer”, ein. Laut Internetportal der Stadt Berlin gilt es für viele als erstes Schwulen- und Lesben-Café Deutschlands (Bowies Berlin, 2016). Auf der Bühne und im Leben war Bowie ein Mensch vieler Identitäten und Figuren. Seine legendäre androgyne Bühnenfigur Ziggy Stardust markiert ebenso die Glam-Rock-Phase Bowies, wie die fließenden Übergänge seiner eigenen Identität. Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung können bei Bowie wechselhaft sein. Bowie jongliert mit Rollenmustern und outet sich mehrfach als schwul, bi- und heterosexuell. Manche sehen in ihm denjenigen, der Queerness mainstreamfähig machte (Kasch, 2021).

Schöneberg als regenbogenkiez

Bowie gehört damit nicht nur zu Berlin, sondern insbesondere auch zum Bezirk Schöneberg. Schöneberg gilt als “der” Regenbogenkiez schlechthin und ist international bekannt für seine Gay-Community. Bereits in den 10’er und 20’er Jahren entstand rund um den Nollendorfplatz eine lesbisch-schwule Subkultur. Künstler*innen und Bohemiens wie Marlene Dietrich, Claire Waldoff und der Schriftsteller Christopher Isherwood trafen sich in Cafés, wie dem “Eldorado” in der Motzstraße und umliegenden Varietés. Das heutige Metropol-Theater stammt aus dieser Zeit. Der Nationalsozialismus machte dem ein jähes Ende. Bars, Cafés und Spielstätten wurden geschlossen und Homosexuelle verfolgt. Ab 1945 entstand im Kiez wieder schwul-lesbisches Leben. Heute ziehen Großereignisse, wie die Pride Week im Juni, das Stadtfest und der Umzug anlässlich des Christopher-Street-Days hunderttausende Besucherinnen und Besucher an. Der CSD findet in Berlin seit 1979 jährlich als Demonstration für die Rechte der LGBTQ-Communities statt. Heute gilt eine aufgeklärte Stadtgesellschaft und eine internationale Vorreiterfunktion in puncto Liberalität zur offiziellen Selbstbeschreibung des Bezirks. Schöneberg hatte als erster Bezirk die Regenbogenflagge zum CSD gehisst (Kieztour: Regenbogenkiez, o.D.).

Quellen:

Bowies Berlin: «Anderes Ufer». (2016, 15. Januar). berlin.de. https://www.berlin.de/tourismus/insidertipps/4259356-2339440-david-bowie-in-berlin-anderes-ufer.html 

 

B.Z. (2016, 22. August). David Bowie-Gedenktafel wurde in Berlin enthüllt. B.Z. https://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/david-bowie-gedenktafel-wird-in-berlin-enthuellt 

 

Heidböhmer, C. (2021, 25. Februar). Als sich die Wege von David Bowie und Christiane F. unheilvoll trafen. stern.de. https://www.stern.de/kultur/musik/als-sich-die-wege-von-david-bowie-und-christiane-f--unheilvoll-kreutzen-30368316.html 

 

Kasch, G. (2021, 15. August). Kolumne: Queer Royal – Georg Kasch über David Bowie und wie man ihn doch noch überholen kann. nachtkritik.de. https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12000:kolumne-queer-royal-georg-kasch-ueber&catid=1505&Itemid=100389 

 

Kieztour: Regenbogenkiez - Berlin.de. (o. D.). berlin.de. Abgerufen am 15. August 2021, von https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/wirtschaftsfoerderung/tourismus/artikel.449066.php 

 

Lücke, M. C. (2021, 10. Januar). Wann bekommt Berlin die David-Bowie-Straße? rbb-online, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin, Germany. https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2021/01/berlin-david-bowie-todestag-strasse-musik-ikone.html

 

Rink, T. (2017, 10. Januar). Als Major Tom in Schöneberg lebte. Tagesspiegel. https://m.tagesspiegel.de/kultur/david-bowie-in-berlin-als-major-tom-in-schoeneberg-lebte/7827370.html 

 

Schaper, R. (2020, 15. Dezember). Heroische Zeiten. Tagesspiegel. https://m.tagesspiegel.de/kultur/david-bowie-und-seine-berliner-jahre-heroische-zeiten/26721634.html 

 

Slaski, J. (2021a, Januar 12). David Bowie in Berlin: 12 Dinge, die man wissen sollte. tipBerlin. https://www.tip-berlin.de/stadtleben/david-bowie-berlin-12-dinge-die-man-wissen-sollte/ 

 

Slaski, J. (2021b, 28. Januar). David-Bowie-Straße in Berlin: Die Frage ist nur noch, wann und wo. tipBerlin. https://www.tip-berlin.de/stadtleben/david-bowie-strasse-in-berlin-stadtmuseum/