Kein Schloss ohne Gespenst: Die Weiße Frau der Hohenzollern

Humboldtforum - Berliner Stadtschloss Herbst 2020 - Bild: Jens-Martin Rode

"Gehüllt in weiße Witwentracht, Im weißen Nonnenschleier, So schreitet sie um Mitternacht, durch Burg und Schloßgemäuer". So dichtete der Romantiker Christian Graf zu Stolberg über die Weiße Frau im Berliner Stadtschloss (Flocken, 2011). Generationen an Kurfürsten, Königen und Kaisern sind über die Jahrhunderte in der Hohenzollernresidenz ein und ausgegangen, hatten das Licht der Welt erblickt und hier ihren letzten Atemzug getan. Doch ein Gast ist der Familie immer treu geblieben: Das Gespenst des Berliner Stadtschlosses. Die Weiße Frau, als die der Geist in die Geschichte eingegangen ist, tauchte oft stets dann auf, wenn sich in der Herrscherfamilie ein plötzlicher Todesfall einstellen sollte.

 

Den Kurfürsten Johann Sigismund (1572–1619) hatte die Erscheinung offenbar so sehr in Entsetzen versetzt, dass er zum wiederholten Male Hals über Kopf aus dem Stadtschloss in das nahe gelegene Nikolaiviertel floh und im November 1619 in dem Haus seines langjährigen Kammerdieners Anton Freitag in der Poststraße 4 Unterschlupf erflehte. Geholfen hatte es ihm nicht. Etwa vier Wochen später verstarb er dort im Beisein der Familie (Stadtmuseum, o.D.).

 

Nicht immer brachte die Weiße Frau nur Unheil. Oftmals tat sie nach genau das, was man der Sage nach von einem Gespenst in einer herrschaftlichen Residenz erwartet: Sie schreitet des Nachts mit langem weißen Gewand, Haube und zurückgeschlagenen Witwenschleier die Gänge entlang. Türen springen auf, Ketten rasseln und bei manch einer Festlichkeit wird wie von Zauberhand gedeckt und abgeräumt. Ist die Dienerschaft des Hauses zu nachlässig oder reizt jemand die Weiße Frau, dann macht sie sich allerdings durch Schrecknisse aller Art bemerkbar.

 

Den Oberstallmeister des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620 - 1688) packte sie am Kragen und warf ihn die Treppe hinab, als dieser den Hausgeist auf die Probe stellen wollte. Auch Luise Henriette (1627 - 1667), der ersten Frau des Großen Kurfürsten, erschien der Geist, trat in ihr Gemach und setzte sich an ihren Schreibtisch. Bald darauf folgte ihr Tod. 1688 wurde sie kurz vor dem Tod des Fürsten selbst gesehen. 1709 entdeckte man beim Umbau des Schlosses ein eingemauertes Skelett, welches man der Weißen Frau zuordnete und in der Hoffnung auf ein Ende des Spuks auf dem Kirchhof bestattete (Schwartz, o.D.). Vergebens, denn beim Tod Frierichs I. im Jahr 1713 war sie wieder da und erschien dem ersten Preußenkönig kurz vor seinem Ableben als weiße Frauengestalt mit Leuchter und Altarkreuz. So sollte wohl der religiös eher uninteressierte Monarch zur Buße und Reue gemahnt werden (Flocken, 2011). Kurz vor einem Attentat auf Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1844 ging sie tief in der Nacht im Schweizer Saal auf und ab. Auch folgte sie dem todkranken Kaiser Friedrich III. 1888 in das Schloss Charlottenburg wo sie schwebend einem Wachposten erschien, der nach dreimaliger Ansprache auf sie schoss. Die Weiße Frau glitt ernsten Blickes an ihm vorüber. Zuletzt wurde sie noch einmal im Januar 1945 drei Tage vor der Bombardierung des Schlosses gesehen (Weiße Frau, 2011). 

 

Der Geist der Anna Sydow

 

Doch wer war die Weiße Frau der Hohenzollern, die zu den prominentesten Europäischen Schloßgespenstern gerechnet wird? Geht in den hoheitlichen Gemächern, so würde man heute vermuten, etwa nachts das schlechte Gewissen angesichts dunkler Familiengeheimnisse um? Das erste Mal soll sie am 1. Januar 1598 gesehen worden sein. Sie erschien dem Kurfürsten Johann Georg (1525 - 1598) acht Tage vor dessem Tod. Seit dem gilt das Gespenst als Geist der 1575 im Juliusturm der Zitadelle Spandau verstorbenen Anna Sydow. Diese war zu Lebzeiten die Geliebte des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. (1505 - 1571), dem Vater von Kurfürst Johann Georg. Kurfürst Joachim hatte sich Anna Sydow zur Geliebten genommen, nachdem seine Frau durch einen Unfall so schwer zu Schaden gekommen war, dass sie gelähmt nur noch an Krücken gehen konnte. Der Kurfürst, der sich um die ehelichen Vergnügungen beraubt sah, nahm sich statt dessen Anna Sydow, die Gattin eines Kanonengießers, zur Geliebten und quartierte sie zeitweilig im Jagdschloss Grunewald ein, welches Joachim hatte erbauen lassen. Sie gebar ihm zwei Kinder, von denen eines im Kindesalter starb. Der Kurfürst zeigte sich zum Missfallen der Bevölkerung gern öffentlich mit seiner weiblichen Begleitung.

 

Kurfürst Joachim schien sehr am Wohlergehen von Anna Sydow in der Zeit nach seinem Ableben besorgt gewesen zu sein. Er regelte persönlich die Versorgung seiner gemeinsamen Tochter Magdalene durch Verheiratung und rang seinem Sohn und Nachfolger Kurfürst Johann Georg das Versprechen ab, seine Geliebte auch nach seinem Tod zu schonen und zu schützen. Doch entgegen dem Befehl des Vaters wurde Anna Sydow unmittelbar nach Joachims Tod 1571 in den Juliusturm der Zitadelle Spandau geworfen und dort bis zu ihrem Tod 1575 inhaftiert. Doch so ganz ungeschlagen wollte sich Anna Sydow wohl nicht geben. Denn als Geist kehrte sie in die Gemächer der Hohenzollern zurück und kündete von nun an jeweils vom nahen Tod eines Mitglieds der Herrscherfamilie. Das war der Preis für das an ihr begangene Unrecht. Als Anna Sydow als die Weiße Frau des Berliner Stadtschlosses das erste Mal in Erscheinung trat, hatte Kurfürst Johann Georg noch acht Tage zu leben (Anna Sydow, 2020).

 

Ein Gespenst kommt selten allein

 

Einer anderen Legende zufolge haben die Hohenzollern das Schlossgespenst möglicherweise aber bereits nach Berlin mitgebracht. So könnte es sich bei der Weißen Frau auch um die Gräfin von Orlamünde handeln, die auf ihrer Plassburg in leidenschaftliche Liebe zu dem Burggrafen von Nürnberg, Albrecht den Schönen, aus dem Haus der Hohenzollern entbrannte. Sie war zudem verwitwet und hatte zwei Kinder. Nun ereignete sich ein tragisches Missverständnis: Albrecht der Schöne ließ ihr übermitteln, er würde sie wohl ehelichen wollen, jedoch stünden dem Unterfangen "vier Augen" entgegen. Die Gräfin von Orlamünde verstand den Grafen dahingehend, dass es sich nur um ihre Kinder handeln könne, die für den Grafen der Ehe entgegen stünden. Liebestrunken erstach sie ihre eigenen Kinder des Nachts mit einer Nadel. Der Graf jedoch meinte seine eigenen Eltern, die sich gegen diese Verbindung stellten. Albrecht der Schöne heiratete die Gräfin deshalb nicht, und diese ersuchte für ihre Tat Vergebung beim Papst in Rom. Zur Buße rutschte sie auf Knien von der Plassburg in das Tal von Berneck. Zudem gründete sie der Sage nach das Kloster Himmelkron. Doch ihr Geist blieb ruhelos und ging seit dieser Zeit um, um ihre Schuld abzutragen.  

 

Das neue Humboldtforum: Viel zu tun fürs Schlossgespenst

 

Das, was Mitte Dezember 2020 im Berliner Stadtzentrum coronabedingt nur digital eröffnet wurde, ist eher ein Märchenschloss aus dem Disneyland, als eine historische Monarchenresidenz. Das Hohenzollernschloss stand bekanntlich nach dem Zweiten Weltkrieg den neuen Herrschern in Ost-Berlin und dem Aufbau des Sozialismus im Wege und wurde 1950 auf Geheiß von Ulbricht gesprengt. An seiner Stelle stand erst einmal nichts, dann ab Mitte der 70'er Jahre der Palast der Republik und dann wieder nichts, da der Palast aufgrund seiner Asbestbelastung nach der Wiedervereinigung abgerissen wurde. Das Humboldtforum, welches nun nach siebenjähriger Bauzeit als 680 Mio. Euro schwerer Monumentalkitsch in den märkischen Sand - oder besser Berliner Sumpf - gesetzt wurde, ist ein komplett neuer Retortenbau.

 

Historisch sind allenfalls die Hypotheken, welche die "Stiftung Humboldtforum im Berliner Schloss" als Initiatorin des Projekts aufgenommen hat. Denn der Bau ist höchst umstritten, wobei es in dem Streit um weit mehr geht, als um den Umgang mit Geschichte bei der Stadtplanung. Streitthemen sind u.a. das auf der Kuppel platzierte Kreuz, unter dem laut einer die Kuppel umlaufenden historisierenden Bibelinschrift alle Völker der Erde die Knie beugen sollen. So lebendig ist der koloniale Geist, unter dem sich künftig ausgerechnet das ethnologische Museum an dieser Stelle präsentieren darf. Bereits vor der Eröffnung des Humboldtforums werden Rückforderungen von Ausstellungsstücken laut, die als Beutekunst aus ehemals kolonisierten Ländern stammen. Dies gilt insbesondere für die Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria, die zu den zentralen Ausstellungsstücken gehören werden, welche aber als Raubkunst nach Auslöschung der Kultur durch die britische Kolonialherrschaft ihren Weg in europäische Museen gefunden hatten. Heute wird ihre Rückgabe gefordert (Deutsche Welle, 2020). 

 

Wenn es demnächst also in den musealen Gängen des Forums zu nachtschlafender Zeit laut wird, dann könnte es an einer bekannten Berliner Dame liegen, welche die Hausherren stets zuverlässig um den Schlaf zu bringen pflegt.

 

Quellen:

 

Flocken, J. (2011, 17. November). 1812: Die Weiße Frau – Ein Gespenst macht Geschichte. DIE WELT. Abgerufen am 17.12.2020 von: https://www.welt.de/kultur/history/article1238095/Die-Weisse-Frau-Ein-Gespenst-macht-Geschichte.html

 

Stadtmuseum Berlin. (o. D.). Zuflucht vor der Weißen Frau. Stiftung Stadtmuseum Berlin. Abgerufen am 16. Dezember 2020, von https://www.stadtmuseum.de/objekte-und-geschichten/zuflucht-vor-der-weissen-frau

 

Schwartz, W. (o. D.). Die weiße Frau im Schloß - Texte Berlin/Brandenburg - Literaturlandschaft. https://www.literaturport.de. Abgerufen am 17. Dezember 2020, von https://www.literaturport.de/literaturlandschaft/orte-berlinbrandenburg/text/die-weisse-frau-im-schloss/

 

Die Weiße Frau im Berliner Schloss. (2010, 14. November). Berliner Morgenpost, Berlin, Germany. Abgerufen am 17.12.2020 von: https://www.morgenpost.de/printarchiv/biz/article104858794/Die-Weisse-Frau-im-Berliner-Schloss.html

 

„Anna Sydow“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. April 2020, 09:41 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Anna_Sydow&oldid=198455195 (Abgerufen: 16. Dezember 2020, 21:43 UTC)

 

Jenicke, P. (2020, 16. Dezember). Humboldt Forum: Start mit Brüchen. DW.COM. Abgerufen am 17.12.2020 von: https://www.dw.com/de/humboldt-forum-kritik/a-55952173

 

 

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